Mittwoch, 22. Februar 2012

Offener Brief eines kategorisierten Menschen

Erinnerst du dich noch an deine Frage? Ich hatte gerade beschrieben, wie überrascht ich war, als ich erfuhr, dass ich nicht mehr das war, was ich dachte, sondern auf die Kategorie des Menschen mit Migrationshintergrund reduziert wurde. Ich hatte erzählt, wie unwohl ich mich dadurch fühlte und dass ich es nicht recht verstehen konnte. Woraufhin du mit spürbarer Verzweiflung in den Raum sprachst: „Wie soll ich euch denn dann bitte nennen?“

Eine sehr interessante Frage, die du an jenem Tag stelltest. Sie hat mich lange begleitet, denn einer Frage mit so großer und deutlicher Aussagekraft war ich nicht sehr oft begegnet. Und weil ich deine ehrlichen und wohl gemeinten Absichten erkannte, konnte ich sie dir auch nicht übel nehmen. Auch wenn sie genau all das ansprach, wogegen ich mich so hart wehrte und kämpfte. Wahrscheinlich war es auch diese Empathie zu dir, die mir letztendlich diese neue Perspektive öffnete. Da wir uns aber mittlerweile aus den Augen verloren haben, bzw. ich dich in so vielen anderen wiedererkenne, möchte ich versuchen, dich auf diesem Wege zu erreichen.

Ich muss zugeben, dass ich mich zu Beginn sehr auf mich selbst und meine Gefühle beschränkte. Ich sah mich als Gefangener eines konzeptionellen Fangnetzes, welches mir meine bis dahin empfundene Freiheit entwendete, meine wahrgenommenen Handlungsmöglichkeiten einschränkte und schließlich auch mein Selbstbild verformte. Ich fühlte mich gezwungen einen Titel zu tragen, der mich von einer anderen sogenannten Mehrheitsgesellschaft trennen sollte. Aber dank dir verstand ich, dass nicht nur ich ein Gefangener war. Auch du warst in einer so unglücklichen Denkstruktur festgefahren, wodurch sich deine Augen unbewusst und ungewollt vor einer so reichen und vielfältigen Wirklichkeit verschlossen.

Es geht mir heute nicht mehr so sehr um den Begriff, den du verwendest. Ich bin fest davon überzeugt, dass du dir große Sorgen machst, den sensibleren und politisch korrekteren zu suchen, wenn du über mich, oder „uns“, redest. Ich verstehe somit auch deine Empfindlichkeit, als ich dir indirekt vorwarf, mich mit deinem Sprachgebrauch ungerecht behandelt zu haben. Es geht mir viel mehr um die Tatsache, dass du offensichtlich die Notwendigkeit verspürst, eine kategoriale Trennung zwischen dir und mir aufzubauen.

Es ist fast so, als hättest du eine für Studienzwecke künstlich erstellte Kategorie in deine Weltanschauung übertragen. Wodurch du dir aber jede Kontaktaufnahme mit mir nur unnötig erschwerst.

Aber habe keine Angst, es ist nicht zu spät. Ich mache dir einen Vorschlag. Du brauchst mich nicht einzuordnen, um mit mir in Kontakt zu treten. Es ist nicht nötig einen behördenartigen Fragebogen abzuklappern, um mich kennenzulernen. Keine dieser Rahmeninformationen werden dir helfen meine Aussagen besser interpretieren zu können. Es genügt, dass wir uns begegnen.

Vertraue mir, du wirst überrascht sein, wie einfach es ist.